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Damit wir die Jubelzone nicht vergessen!
Von Jozef Banáš


Nach dem Besuch von Dresden war ich kurz darauf erneut in Deutschland, um meinen Roman Jubelzone vorzustellen, der die Geschichte Deutschlands, Tschechiens, der Slowakei, Russlands und der Ukraine in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts beschreibt. In Remscheid sollte ich die "Slowakische Woche" abschließen, die vom 14. bis 20. Juni von der Freundschaftsgesellschaft Remscheid-Prešov veranstaltet worden ist. Begleitet von wunderschönen Volksliedern aus der Ostslowakei, dargeboten von den jungen Mädchen des Folklore-Ensembles der Prešover Universität, vergingen die zwei Stunden wie im Fluge. Nach dem lebhaften literarischen Gespräch ging es bei gutem Wein weiter mit dem Erzählen persönlicher Erlebnisse und Empfindungen aus der Zeit der durch die Berliner Mauer symbolisch geteilten Welt. Aus der Zeit, als die einstigen Ostdeutschen ihren inneren Widerstand auch dadurch äußerten, dass sie das Fußballspiel der beiden deutschen Staaten gegeneinander im westdeutschen Fernsehen verfolgten, und ihre Scheinheiligkeit kam dadurch zum Ausdruck, dass sie, wenn es an der Wohnungstür klingelte, zum Fernseher sprangen (Fernbedienung gab es noch nicht), um aufs DDR-Fernsehen umzuschalten. Aus der Zeit, als wir von Freiheit und Demokratie träumten und sie täglich über ARD, ZDF, RIAS, ORF, Stimme Amerikas und andere Fernseh- und Hörfunkstationen wahrnahmen. Aus der Zeit, als die Deutschen meiner Generation ein seltsames Gefühl im Magen hatten, wenn sie die innerdeutsche Grenze von Ost nach West überschreiten durften, oder die Slowaken, wenn sie nach Österreich einreisten. Aus der Zeit, als wir – die Tschechen, Slowaken, Ostdeutschen, Polen, Russen, Bulgaren, Ukrainer, Ungarn – auf die Verstellung setzten, die zum untrennbaren Bestandteil unseres Lebens wurde. Betrug, Lüge und Unrecht sind uns sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen. In den einstigen sozialistischen Ländern demonstrierten wir wohl am deutlichsten unsere Meisterschaft in der Verstellung, wenn wir zum Ersten Mai oder an anderen staatlichen Feiertagen an den Umzügen teilnahmen. In den Zonen vor den Tribünen und unter den Kameras zeigten wir Begeisterung, nach der Rückkehr fing der Alltag wieder an, stumm mit gebeugten Rücken. Ihre Jubelzone durchlebten die Deutschen und die Slowaken auch während der faschistischen Diktatur, und die Slowaken und die Deutschen aus der ehemaligen DDR auch während der kommunistischen Totalität. Die Tribünen waren die gleichen, nur die Symbole wurden ausgewechselt. Als ich seinerzeit den Bundeskanzler a.D. Willi Brandt befragte, welche Kriterien die Deutschen bei der Vergangenheitsbewältigung anlegten, sagte er mir die Worte, die ich zum Motto meines Romans wählte: „Eines Jeden Vergangenheit erkennt man daran, wie er sich heute verhält.“ Genau so ist es. Diejenigen, die während der Totalität Lumpen waren, sind es auch heute in der Demokratie, die damals rechtschaffen waren, sind es auch in der Demokratie geblieben. Auf den Tribünen blieben die Scheinheiligen sitzen, die deutschen haben geschickt Hitlers Porträt gegen das von Adenauer ausgetauscht, unsere tauschten Tiso gegen Gottwald und später Husak gegen Havel. Und wir marschierten an ihnen vorbei und schwenkten Fähnchen. Und täuschten Begeisterung vor, denn die Menschen in den Jubelzonen sind überall in der Welt gleich. Das habe ich bei meinen Gesprächen in Prag, Berlin, Frankfurt, Warschau, Neu Delhi, Kiew, Ushgorod - in den Ländern, in denen Jubelzone erschienen ist - erfahren. Die Menschen wollen ohne Heldentaten in Ruhe, Frieden, Glück leben, ohne Verstellung, Vorurteile, in Wahrheit und Freundschaft. Freundschaft ist ein Himmelsgeschenk, und unsere Aufgabe ist es, sie hier auf Erden zu verwirklichen. Sie kann aber – mit Goethe gesagt – nicht aus einer hochmütigen Brust erwachsen. Den Freunden aus Remscheid ist es während der "Slowakischen Woche" gelungen, die deutschen und die slowakischen Herzen zu öffnen und einander näher zu bringen. Je größere nationale und europäische Patrioten wir sein werden, je mehr wir voneinander wissen, umso weniger Vorurteile werden wir haben, umso geringer ist dann die Gefahr der Rückkehr von Jubelzonen. Tun wir also alles dafür, dass sie sich nicht wiederholen.

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Jozef Banáš mit drei Musikerinnen des Volksensembles aus Prešov (Foto: privat)

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